Neues Kapitel der Steinzeitforschung

Felskunst Gravurfund im Hunsrück erzählt von Kulturaustausch

Von Autor Andreas Pecht

Hunsrück. Der Anmarsch ist weit, teils sehr beschwerlich. Der Fundort liegt abseits im Verborgenen. Es ist, als habe die Natur des Hunsrücks das spätsteinzeitliche Artefakt bei Gondershausen dem Zugriff der Moderne entziehen wollen. Die rheinland-pfälzischen Landesarchäologen sind froh darüber, denn das bietet Schutz für den jetzt vorgestellten Fund aus dem letzten Drittel der jüngsten Eiszeit (wir berichteten). Schutz vor übereifriger Altertumsliebhaberei, Sensationsgier oder Vandalismus. Die wenigen, die den Ort nun kennen, werden erst mal zu Stillschweigen über den Weg dorthin vergattert.

Auf den ersten Blick erkennt der Laie nichts.

Ohnehin stünde für den Laien an dessen Ende eher eine Enttäuschung: Auf den ersten Blick erkennt er gar nichts; auf den zweiten nur einige in den Schieferfels eingravierte, stark verwitterte Linien. Erst Fingerzeige eines Wissenschaftlers enthüllen dem unkundigen Betrachter die auf einem Quadratmeter Felsfläche planmäßig angelegte Darstellung einer Gruppe von drei Pferden nebst einem nicht zu identifizierenden vierten Tier. Was ist so bedeutend an dem Fund, dass er als eine der wichtigsten archäologischen Entdeckungen der vergangenen Jahre in Rheinland-Pfalz bezeichnet werden kann?

Derartige Felsgravuren waren bislang nur aus Portugal, Spanien, Frankreich bekannt, wurden aber noch nie so weit im Norden Europas entdeckt. Und: Sie sind auf ein Alter von 20 000 bis 25 000 Jahren zu datieren, auf eine Zeit, aus der es in der hiesigen Region nur sehr wenige Zeugnisse gibt. Weshalb Chefarchäologe Axel von Berg davon ausgeht, dass mit der Entdeckung bei Gondershausen ein neues Kapitel Steinzeit-Forschung beginnt, das mehr Licht in das Leben jener Generationen des Homo sapiens bringt, die 5000 bis 10 000 Jahre vor den Jäger-und-Sammler-Gruppen der sogenannten Magdalenien-Epoche die mittelrheinische Region durchstreiften.

Über die Menschen des Magdalenien wissen wir dank Tausender archäologischer Funde an Siedlungsplätzen bei Andernach und in Neuwied-Gönnersdorf ziemlich viel, über deren Vorfahren indes noch sehr wenig. Die Umweltbedingungen gestalteten sich für beide ähnlich: Die mittelrheinischen Täler und Höhen, auch der Hunsrück, waren eine trocken-kalte Tundra-Landschaft ohne Wälder; Steppengrasflächen und niedriges Buschwerk über ganzjährig gefrorenem Permafrost-Untergrund dominierten. Für die Magdalenien-Menschen steht fest, dass ihr wichtigstes Jagdtier das Pferd war, Pferdefleisch also eine Art Grundnahrungsmittel. Die Felsgravuren von Gondershausen legen den Schluss nahe, dass Pferde bei deren Vorfahren die gleiche Rolle spielten.

Vermutlich das Werk eines kleinen Jagdtrupps

Laut Axel von Berg spricht das Steinrelief von Gondershausen nicht für den Siedlungsplatz einer der gewöhnlich 15- bis 25-köpfigen spätsteinzeitlichen Lebensgemeinschaften an dieser Stelle. Eher wurde das Kunstwerk von einem kleinen Jagdtrupp geschaffen, der hier etliche Kilometer vom Hauptlager entfernt vorübergehend sein Expeditionslager aufgeschlagen hatte. Was war die Motivation der Jäger, das Bildnis erst als Planskizze in den Fels zu ritzen, dann in vielen Stunden Arbeit mit steinzeitlichem Werkzeug auszuschaben und einzumeißeln? Es könnte bloßer Zeitvertreib gewesen sein oder aber Teil eines Rituals zur Beschwörung von Jagdglück. Die Gravuren geben darauf keine Antwort.

Eindeutig hingegen ist die stilistische Verwandtschaft der Hunsrücker Pferdebilder mit den Funden in Südeuropa. Seitenansicht mit rechteckigem Kopf, dreieckigen Ohren, geschwungener Rückenlinie, Schwanzstummel und angesetztem Schweif: Der hier festzustellende Grad an Schematisierung ist enorm, eine abstrakte Gravur am unteren Reliefende erweist sich gar als ein extrem reduziertes Kurzsymbol für Pferd.

Solche Darstellungen finden sich bis hin nach Portugal

Diese Darstellungsweise erstreckte sich, so die aktuellen Erkenntnisse, vom Hunsrück bis nach Portugal. Was somit auch für die Zeit vor 25 000 Jahren den faszinierenden Schluss zulässt, der für die nachherige Magdalenien-Epoche bereits gesichert ist: Einen Kulturaustausch quer durch Europa gab es schon in der Steinzeit.

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom Donnerstag, 3. Juli 2014, Seite 27
Zurück nach oben